Podcast: kristinakatikalifornia Folge 27: Johannes Lenhard forscht zur Ethik von Wagniskapitalinvestitionen im Silicon Valley

Kristina ist zurück aus Mexiko und wir haben heute Johannes Lenhard bei uns zu Gast. Johannes recherchiert als Cambridge Post-Doc an der Stanford Universität zur Ethik von Wagniskapitalinvestitionen (Venture Capital). Nebenbei berät er als Investmentmanager das Family Office NFQ Capital. Davor hat Johannes in Cambridge zum Thema Obdachlosigkeit in Paris promoviert und war Chefredakteur des Cambridge-Magazin King’s Review

Johannes spricht als Anthropologe mit Venture Capital Firmen im Silicon Valley und hat schon Unterschiede zwischen Deutschland, Europa und den USA festgestellt. Tendenziell, sind die deutschen VCs weniger risikobereit und wollen sich auch im Early-Stage-Bereich an Zahlen festhalten. Das ist in den USA anders. Hier ist viel mehr Geld im Markt und VCs müssen sich voneinander differenzieren. 

In seinem Ethikverständnis fragt er Investoren, ob sie darüber nachdenken, wie sich die Unternehmenskultur von ihren Investments langfristig entwickelt. Er glaubt, dass Missachtung der Privatsphäre der Nutzer von sozialen Netzwerken oder auch Unternehmenskulturen mit Fällen von sexuellen Übergriffen auch die Verantwortung von VC ist.

Seit Johannes in San Francisco ist, wird er auch wieder mit dem Thema Obdachlosigkeit konfrontiert. Aktuelle Studien zeigen, dass es hier (relativ  zur Einwohnerzahl) circa zehn mal so viele Obdachlose gibt wie in London. Er sieht den Grund im Wohnungsmarkt, in dem es wenig Platz gibt und Mieten von hohen Gehältern in der Techindustrie hoch getrieben werden. Johannes sieht vor allem einen ideologischen Unterschied bei den Lösungsansätzen im Umgang mit der Obdachlosigkeit, der aus der War-on-Drugs-Initiative der 80er entstanden ist. In Europa hat sich mittlerweile gezeigt, dass eine Dekriminialisierung von Drogenkonsum und ein so genannter Harm-Reduction-Ansatz wirksamer ist als eine Kriminialisierung, da sie existenzielle Brücken zum Ausstieg bauen kann. Das soziale Netz ist ein entscheidender Faktor, der einen davor bewahren kann, auf der Straße zu landen. Johannes engagiert sich ehrenamtlich bei St. Anthony bei der Essensausgabe für Obdachlose.

Für Akademiker, die ebenfalls nach Kalifornien kommen wollen, um beispielsweise zu forschen, sieht Johannes gute Möglichkeiten. Vor allem für Promovenden sieht er die Möglichkeit ein Visum von einer Uni zu bekommen. Trau dich, den Kontakt mit Unis aufzunehmen!

Wir haben mit Johannes außerdem über deutschen Sarkasmus, Fleischalternativen wie Beyond Meat und andere Trends aus dem Silicon Valley gesprochen.

Hier geht’s zur Folge:

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Hier findest du Veröffentlichungen zu den Themen, die wir mit Johannes diskutiert haben:

Johannes Lenhard

Obdachlosigkeit

San Francisco und das Silicon Valley sind weltweit bekannt als Geburtsstätte der großen Ideen von morgen: Drohnen, selbstfahrende Autos… Die meisten Touristen buchen sich ein Hotel Downtown, in der Nähe des Union Square. Im Herzen San Franciscos zwischen Rathaus, Oper und Shopping Malls treffen sie auf Obdachlose. Das mag zunächst verstörend wirken, wenn man auf der Suche nach Hippies mit Blumen im Haar ist, bringt Touristen und Anwohner, darunter auch viele Mitarbeiter von Technologieunternehmen auf der Suche nach dem nächsten großen Ding, zurück in die Realität.

Laut Obdachlosigkeitszensus gab es in 20.177.499 Obdachlose auf den Straßen San Franciscos. Die Hauptursachen sind meiner Einschätzung nach eine Abwärtsspirale aus psychischen Problemen und Drogenabhängigkeit. Dies ist vor allem für Europäische Einwanderer oder Touristen schwer nachvollziehbar, die ein soziales Netz und eine Gesundheitsversorgung gewöhnt sind, die psychische Krankheiten und Sucht bekämpfen und behandeln. Viele Obdachlose sind Veteranen; die USA hat deutlich mehr Veteranen als alle anderen Länder (= 24 Mio. in 2010).

Angesichts der akuten Krise, konzentrieren sich viele Organisationen auf die Grundversorgung und bieten Obdachlosen vorübergehende Unterkunft, Essen und Duschen, adressieren aber nicht die Ursachen des Problems. Andere Initiativen konzentrieren sich auf die Prävention von Obdachlosigkeit durch das Angebot von bezahlbarem Wohnraum – eine Rarität in San Francisco. Die lokale Regierung hat in den letzten Jahrzehnten den Wohnungsmarkt tot reguliert. Es gibt kein Angebot, und keine Anreize bezahlbaren (oder überhaupt) Wohnraum zu bauen. Weitere Regulierungen führen vermutlich nicht aus der Krise.

San Francisco ist von Wasser umgeben, und Initiativen zum Bau nach oben, werden häufig von lokalen NIMBY (Not in my backyard) Initiativen gestoppt. Diejenigen, die Wohnraum gefunden haben, möchten nicht auf ihre Aussicht verzichten.

Viele Technologieunternehmen engagieren sich zögerlich, nachdem sie in den vergangenen Jahren vergeblich versucht haben, sich von dem Problem zu distanzieren. Gut bezahlte Mitarbeiter von Startups werden für den Mangel an Wohnraum und die Gentrifizierung verantwortlich gemacht. Busse, die die Mitarbeiter ins Silicon Valley fahren, werden mit Tomaten beschmissen.

Laut Director des Department of Homelessness and Supportive Housing, kann die Stadt ohne private Zuwendungen das Problem nicht bekämpfen. Ansässige Unternehmen und Privatpersonen haben begonnen Maßnahmen zur Prävention, Bekämpfung und Beendigung von Obdachlosigkeit zu finanzieren. Airbnb unterstützt beispielsweise, die Hamilton Stiftung zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit von Familien.

Trotz allem wohne ich gern in San Francisco und meide auch Straßenzüge, in denen Obdachlose zelten, nicht. Ich bin überzeugt, dass die Krise in den kommenden Jahren überwiegend bekämpft werden kann und muss.

Hier sind ein paar einfache Schritte, die jeder von uns tun kann, um Obdachlosigkeit anzugehen (aufgeschrieben von meiner ehemaligen Kollegin und Stadtplanerin Molly Turner):
  • Informiere Dich und andere über die wahren Ursachen von Obdachlosigkeit.
  • Engagiere Dich für Gesetzgebung, die Obdachlosigkeit bekämpft auf lokaler, staatlicher und nationaler Ebene.
  • Unterstütze Wohnungsbauinitiativen in Deiner Nachbarschaft, indem Du Dich an Deinen Repräsentanten wendest, zu Anhörungen gehst und Dich an Wahlen beteiligst
  • Vermieter mit zusätzlichem Wohnraum können diesen ehemals Obdachlosen zur Verfügung stellen.
  • Engagiere Dich ehrenamtlich bei lokalen Initiativen oder spende.
  • Trete in Kontakt mit Obdachlosen in Deiner Nachbarschaft, frage wie Du sie unterstützen kannst. Meist hilft ein Sandwich oder ein paar Socken schon etwas weiter. Bei medizinischen oder brenzligen Situationen reicht häufig der Anruf der Hotline (933) anstelle der Polizei.